Schweden 1999

Dieser Fahrtenbericht, zusammen mit nützlichen Information für zukünftige "Schwedenwanderer" wird in einer der nächsten Ausgaben von Kanusport, der Zeitschrift des DKV, erscheinen.

Im Kielwasser der Wikinger

Jens K. (Text) und Dr. Elke G.(Fotos)

Im Winter 97/98 stand ich oft am Ufer des Mälaren und träumte davon, hier einmal zu paddeln. Gerade dieser See, der von hunderten Inseln zerteilt ist, müßte doch ein wunderbares Paddelrevier sein! Und hinter Stockholm schließtsich der Schärengarten an... Ungeahnte Möglichkeiten! Gut einJahr später machen Elke und ich den Traum wahr.

Nordwärts perBahn

Ich packe das Faltboot im Wohnzimmer noch einmal aus, um möglichst viel der Ausrüstung für uns beide in den Bootssäcken unterzubringen. Mein Rucksack ist bereits voll. Unser Auto blieb vor zwei Tagen liegen, so nehme ich entgegen der ursprünglichen Planung die Bahn. Faltboot, Paddel, Zelt und Gepäck inkl. Schlafsäcke für uns zwei - auf den Bootswagen passt das alles, nachdem es kunstvoll eingepackt ist. Aber werden die DB und SJ mitspielen?! Immerhin sehe ich mit all dem Gepäck nicht wie ein Reisender, sondern eher wie ein Umziehender aus... Mit dieser Frage im Kopf schiebe ich den Bootswagen zum Nachtzug, der mich von Berlin nach Malmö bringt. Es gibt keine Probleme, das Faltboot auf dem Perron des Schlafwagens unterzubringen und auch im schwedischen X2000 gibt es keine Transportprobleme, abgesehen von der Plackerei beim Umsteigen. So kommen unser Boot und ich wohlbehalten in Uppsala an, wo Elke uns schon erwartet.

Uppsala ist die viertgrößte Stadt Schwedens und hat mit seiner alten Universität, seinem Dom und einer Innenstadt, die sich am Fluss Fyrisån entlang zieht, einiges Sehenswerte zu bieten. Auf dem Fyrisån, der etwa zehn Kilometer weiter südlich in den See Mälaren mündet, beginnt unsere Tour. Auf diesem Weg über die nördlichen Ausläufer des Mälaren gelangten einst die Wikinger zur Ostsee: der Vikingeleden. Wir bauen unseren RZ 85 im "Stadsträdgarden" von Uppsala, unterhalb des letzten Wehres auf und bepacken ihn an einem Steg. Während ich noch Trinkwasser holen gehe, wird meine Schwimmweste von einer Windbö vom Steg in den Fluss befördert. Sie kann es wohl auch kaum erwarten, dass wir endlich ablegen....

Frühling auf schwedisch

Unsere Fahrt beginnt gemächlich, vorbei geht es an einem kleinen Hafen, durch Wiesen und Felder. Ab und zu stehen noch Häuser am Ufer. Kurz vor der Mündung taucht rechts eine kleine Skipiste inklusive Skilift auf. Und tatsächlich: es liegen sogar noch Schneereste dort! In Berlin sind Mitte Mai alle Bäume sattgrün, die Kirschen und Äpfel sind fast verblüht und es ist Zeit, die Shorts hervorzuholen. In Mittelschweden hingegen blühen zur selben Zeit die Osterglocken, und die Kastanien grübeln täglich aufs Neue, ob es sich wirklich schon lohnt, die Kerzen anzuzünden. Und das, obwohl der 30. April, der inoffizielle Frühlingsanfang in Schweden, schon vorbei ist, und die optimistischen Cafébetreiber bereits wetterfeste Stühle und Tische auf die Straße gestellt haben.

Der See ruft!

Gleich hinter der Mündung des Fyrisån gibt es einen Zeltplatz und einige Bootshäuser, unser Blick jedoch geht südwärts über Ekoln, den nördlichsten Teil des Mälaren, der sich weit vor uns ausbreitet. Das Wetter meint es gut: Es ist zwar kühl und leicht bewölkt, aber trocken, und gegen den leichten Wind aus SSW kommen wir gut an. Wir fahren in der Nähe des östlichen Ufers bis Krusenberg. Hier haben sich bei Bft. 3 einige Wellen aufgetürmt, die uns erahnen lassen, wie der See bei stärkeren Winden aus Süd oder Nord aussehen kann. Für 2 km fahren wir nun gegen die Wellen an. Unser Pouch stampft arg, lässt sich aber nicht wirklich aus der Ruhe bringen. Im Stavsund kommt rechte Hand Skokloster in Sicht. Das Wasser ist wieder ruhiger geworden und in der späten Nachmittagssonne suchen wir einen Zeltplatz. Das Ufer ist oft steil und voller Dickicht. An den lichteren Stellen stehen Häuser oder kleine Wochenendsiedlungen, so dass die Auswahl kleiner ist als angenommen. Es gibt hier jedoch einige in der Karte verzeichneten Badestellen, die um diese Jahreszeit noch ungenutzt sind und sich deshalb hervorragend zum Zelten eignen. Pilsbo, gegenüber vom Schloss Skokloster gelegen, wird unser Etappenziel. Mit Toiletten, Wasserhahn und Feuerstelle ausgestattet, macht diese Badestelle den Eindruck, öfter als Zeltplatz zu dienen. Während das Wasser fürs Abendbrot schon auf dem Kocher steht, suchen wir den idealen Platz, um das Zelt aufzustellen, damit die Sonne noch möglichst lange und morgen möglichst früh aufs Zeltdach scheinen kann. Nach dem Sonnenuntergang wird es sofort empfindlich kalt. Wir liegen schon bald in unseren Winterschlafsäcken und träumen dem nächsten Tag entgegen. Am anderen Morgen ist es warm und sonnig und wie gehofft, erreichen schon die ersten Sonnenstrahlen unser kleines Zelt. Die Sonne verleitet uns zu einem kurzen, dann doch entsetzlich kalten Bad: Das Wasser des Mälaren ist noch 8 bis 10 Grad kalt! Unangenehme Gedanken an ein unfreiwilliges Bad in diesen Gewässern steigen später in uns auf – jedoch ist das Risiko einer Kenterung unseres beladenen Pouch-Zweiers bei den vorherrschenden Wellen- und Windverhältnissen relativ gering. Dadurch beruhigt, können wir uns wieder an der Landschaft, durch die wir gleichmäßig dahingleiten, erfreuen.

Eine Entdeckung!

Am frühen Nachmittag erreichen wir Sigtuna. Direkt am Hafen vertäuen wir unseren "Schwan" und genießen Waffeln mit Erdbeermarmelade, was Beides richtig schwedisch schmeckt. Auf der Suche nach einem Lebensmittelgeschäft entpuppt sich der Ort als Entdeckung des Tages: Wie in einer Filmkulisse stehen kleine Holzhäuser in engen Straßen und erinnern eindrucksvoll an frühere Jahrhunderte. Wir erfahren, dass Sigtuna die älteste Stadt Mittelschwedens ist und das kleinste Rathaus Skandinaviens besitzt. Und wir wären fast vorbeigefahren, hätten wir nicht Proviant gebraucht! Der Sigtunafjärden und der Skarven erstrecken sich südöstlich der Stadt über 10 km. Das Ende des Skarven kommt und kommt nicht näher - dies ist ein spezieller Reiz dieser Landschaft: Der Blick ist lange an einem Punkt fixiert , ehe er einen neuen findet. Das glatte Gegenteil zu kleinen, schnellen Flüssen, auf denen hinter jeder der vielen Kurven eine neue Abwechslung wartet. Über uns schweben die Flugzeuge, die in Stockholms Flughafen Arlanda landen wollen. Bei der Insel Munkholmen fahren wir durch einen engen Sund, rechts und links ist er gesäumt von nahezu senkrecht abfallenden Felswänden. Knapp zwei Kilometer weiter finden wir am östlichen Ufer der Granhammarsvik wieder eine zum Zelten geeignete Badestelle mit sonniger Wiese. Leider kennt auch die Jugend von Ängsjö diesen Platz und so wird die Nacht für uns laut und kurz.

Am dritten Tag geniessen wir zum Frühstück den Blick auf die Granhammarsvik, die spiegelglatt vor uns liegt. Bei Stäket, wo Brücken der Autobahn E18 und der Eisenbahnlinie Stockholm-Vasterås-Örebro die Bucht Görväln überspannen, ist die Baustelle einer neuen Eisenbahnbrücke und eines Tunnels zu erkennen. Bisher windet sich die Bahn langsam um die Hügel und Felsen der Insel Staksön. Die im Bau befindliche Verkürzung der Strecke wird die Verbindung im Mälardal um einige Minuten verkürzen. Wir halten uns im Görväln an das östliche Ufer und treffen kurz vor Skaftingeholmen auf zwei Deutsche, die ebenfalls in einem RZ 85 unterwegs sind. Sie versuchen, im Windmühlen-Paddelstil und unter Segel trotz herrschender Flaute südwärts zu kommen. Birka, eine Wikingersiedlung, die dann im 9. und 10. Jahrhundert Schwedens wichtigste Handels- und Handwerkerstadt war, sei ihr Ziel, sagen die Beiden. Ob sie wissen, dass sie noch gut 12 km vor sich haben... ...und dann auch wieder zurück müssen?

Viele Wege führen über den Mälaren

Fährt man hier in den Näsfjärden und weiter in Richtung Südwesten, hat man den größeren Teil des Mälaren vor sich. Man erreicht zum Beispiel am südlichen Ufer Mariefred, einen kleinen Ort, in dem der deutsche Dichter Kurt Tucholsky seine letzten Lebensjahre verbrachte. Nahebei wacht das Schloss Gripsholm, eine DER Sehenswürdigkeiten Schwedens. Nur acht Kilometer weiter liegt Taxinge mit einem schönen Herrensitz, in den an jedem Wochenende die angeschlossene Konditorei zu einer riesigen Tafel mit Torten und Kuchen einlädt, eine kalorienreiche Rast einzulegen. Längere Fahrten führen bis Västerås oder Örebro. Wir folgen jedoch dem Vikingeleden ostwärts in Richtung Stockholm. Die drohenden Wolken machen mich etwas nervös. Ihretwegen machen wir nur eine kurze Pause im Boot, um etwas zu essen. Wir geraten nicht in den Regen, er ist jedoch rings um uns zu sehen! Ein gutes Gefühl, auf diese Art trocken zu bleiben. Sechs Kilometer weiter erreichen wir den Stadtrand von Stockholm. Wir sind inzwischen völlig pausenreif. Hier in Hässelby gäbe es bereits mehrere gute Möglichkeiten zum Aussetzen und eine nahegelegene Metrostation. Wir fahren weiter. Die folgenden Inseln und das Ufer werden immer urbaner: kleine Holzhäuser wechseln sich mit großen Wohnblocks ab. Auf der Höhe von Högersten, einem Stadtteil Stockholms, befinden wir uns schon mitten im Stadtgebiet, finden aber noch einige nahezu unberührte Inseln, auf denen man vielleicht sogar einen Übernachtungsplatz fände. Der Bootsverkehr ist hier schon recht dicht und es reicht nicht aus, nur den eigenen Kurs im Auge zu behalten. Vielleicht haben die Stockholmer auch eine Vorliebe für schnelle Motorkajütboote? Es scheint so. Bereits von weitem ist unser heutiges Tagesziel, das dunkelrote Bootshaus von "Fridhjemskanotisterna Stockholm" neben dem Sportboothafen von Högersten erkennbar. Das Gelände auf einer Ufernase bietet dem Verein nur wenig Platz, aber er reicht, um unser Boot hier zu lagern.

Eine nasse Stadtrundfahrt – Stockholm vom Wasser

Am folgenden Wochenende setzen wir unsere Tour fort. Es geht nun ins Herz der schwedischen Metropole. Wir können zwischen verschiedenen Routen wählen, um in den Schärengarten vor der Stadt zu gelangen und entscheiden uns, direkt über Riddarholmen und Gamla Stan zu fahren. Just als wir den Rathausturm passieren, beginnt sein stündliches Glockenspiel. Es wirkt inszeniert, wie wir nahezu würdevoll bei dieser Musik auf Gamla Stan zu gleiten. Die Häuser der Altstadt Stockholms stehen dicht gedrängt auf einer der kleineren Inseln. Wir wollen zunächst die Schleuse (Slussen) passieren und legen oberhalb an. Wie mir der Schleusenmeister versichert, gilt der ausgewiesene Preis von 120 SEK (ca 30 DM!) auch für Paddelboote. Gleichzeitig bietet er seine Hilfe für ein Umtragen an – er gibt unumwunden zu, dass ihm der Preis auch zu hoch wäre. Unterhalb der Schleuse sehen wir uns in der Falle. Nirgends finden wir eine Stelle zum Anlegen. Dabei wollten wir doch die Altstadt erkunden... Ich fahre an die zwei Meter hohe Kaimauer heran, Elke steigt an einer Leiter hoch. Ein Balanceakt bei dieser Kreuzsee, die von vorbeifahrenden Schiffen ständig neu genährt wird. Ich warte im Boot ein Stück vor dem Kai. Stünde eine Kasse am Ufer, könnte ich hier Geld verdienen: Die vorbeiströmenden Touristen schauen interessiert und skeptisch auf unser kleines Boot. "Worauf wartet der wohl allein in dem Boot..." und "Dass ihm bei den Wellen nicht übel wird dort unten..." steht ihnen in den Gesichtern geschrieben. Das Einbooten mit dem großen Einkauf gelingt Elke perfekt. Ohne nasse Füße steigt sie zwischen zwei an die Kaimauer klatschende Wellen ins Boot. "Volle Kraft" voraus fahren wir nach Skansen. Hier befindet sich der einzige Nationalpark Europas, der inmitten einer Metropole liegt. Stockholms Vergnügungsviertel und der Tierpark. locken bei gutem Wetter Tausende Besucher hierher. In einem alten Trockendock liegt die "Wasa". Als Prunkschiff König Wasas gebaut, sank es 1628 bereits auf seiner Jungfernfahrt, weil es viel zu kopflastig war. Man sagt, die Konstrukteure hätten es schon geahnt, aber keiner traute sich, sein Wissen Preis zu geben.... Unser "Schwan" kann darüber nur schmunzeln. Er trägt uns durch den Djurgardsbrunnkanalen. Hier entdecken wir die prächtigen Villen des Diplomatenviertels und das schwedische Marinemuseum. An der Mündung des Kanals in den Lilla Värtan tauchen wir ein in den Schärengarten Stockholms.

Schären bis zum Horizont – dahinter die Finnlandfähre.

Auf den Inseln von Fjäderholm nisten hunderte Möwen, Lummen und Schwäne – gleich gegenüber auf einer anderen Insel sitzen Leute vor einem Restaurant, das nur per Boot zu erreichen ist. Unseren Weg durch den Halvkakssundet kreuzt die Finnlandfähre. In solchen Augenblicken wird der Paddler zur Maus bei einer Elefantensafari. Erhaben rauscht dieses Hochhaus an uns vorüber und bereitet uns mit seinen Wellen einen Riesenspaß. Am Askrikefjärden ist Schluss mit lustigem Sightseeing. Wir kämpfen uns bei Bft. 4 - 5 gegen hohe Wellen an. Natürlich sahen sie vom Ufer ganz harmlos aus. Mitten auf dem Fjärd gerät der "Schwan" aber schon recht ins Stampfen und wir nehmen Welle für Welle über. Für die Dauercamper vom Askrikebadet sind wir für die nächsten Tage Zeltplatzgespräch und die, "die übers Wasser kamen". Außerdem ist man im Mai mit einem Zelt schon ein Exot auf schwedischen Campingplätzen, neben all den Blechhäuschen auf Rädern...

Ein Wetterwechsel über Nacht macht vor allem Elke zu schaffen, aber auch mein Kopf erscheint mir groß wie ein sich ausdehnender Ballon. Elke steckt unser Ziel vorsorglich etwas kürzer. Ich trenne mich nur schwer von meinem ursprünglichen Plan, bis Åkersberga im Norden weiterzufahren. Dann in Vaxholm angekommen, bin auch ich sehr zufrieden mit der Korrektur: Wir haben nun Zeit genug, diese alte Lotsenstadt zu erkunden. Seine Festung trotzte den früheren Feinden Stockholms, so wie sie dort direkt in der Fahrrinne liegt. Der Zeltplatz von Vaxholm ist zu empfehlen. Die neuen Betreiber haben die Anlagen gerade renoviert. Sie sind uns gegenüber sehr freundlich, da sie uns für Schiffbrüchige oder so etwas halten, als wir mit unseren Schwimmwesten am Körper vom Strand kommen. Hier treffen wir ein Münchener Pärchen wieder, das uns bereits an der Schleuse in Stockholm angesprochen hatte. "Wir sind mit Auto und Hochseekajaks unterwegs", hatten sie uns stolz erzählt. Nun weisen sie u. a. auf einen "Yukon-Expedition", der mit einer Kompasshalterung und Life lines ausgerüstet ist.... Am nächsten Morgen werfen wir einen letzten Blick auf diese herrliche Schärenlandschaft und sehen eine Fähre hinter den Inseln, die sich einer Bühnendekoration gleich am Horizont entlang schiebt. Eines schönen Tages wird hier unsere nächste Tour in Stockholms Schärengarten starten.