Mit dem Seekajak von Travemünde nach Stralsund



Lübeck-Travemünde, Passathafen. Das mächtige Schwesterschiff der 1957 im Nordatlantik gesunkenen Vier-Mast-Bark Pamir liegt am Priwall auf Reede. Hier fristet die Passat ihr Dasein als Museumsschiff. Die andere Schwester, die Krusenstern (als Padua 1925 in Dienst gestellt), dient heute der Russischen Marine als Segelschulschiff. Doch davon später. Zunächst gilt es, unsere wesentlich kleineren Kajaks, einen Lettmann Hanseat und einen Wilderness Tempest 180 pro für die rund 14-tägige Fahrt bis nach Stralsund mit dem Notwendigsten zu bepacken. Frühstück und Abendessen für drei Tage, Zelt, Schlafsäcke, Isomatten und – unverzichtbar – zwei Bootswagen. Anders als bei unseren Touren entlang der ostschwedischen Schären und den Åland- Inseln verzichten wir auf größere Lebensmittelvorräte und gehen davon aus, dass wir uns in den Küstenorten mit Hamburger Schnitzel und Bratheringen wohl werden versorgen können.

Brandungspaddeln

Nachdem wir das Auto beim Hafenmeister – kostenlos(!) – in Verwahrung gegeben haben, fahren wir gegen Mittag bei strahlendem Sonnenschein, Windstärke 3 aus Nordost und einem Kurs von 60 Grad los. Als Karte dient uns der Jübermann-Atlas, der sich während der Fahrt bis auf eine Ausnahme als ausgesprochen genau und zuverlässig erweist. Im Laufe der nächsten Stunden baut sich die Dünung mehr und mehr auf, was aber aufgrund von Steueranlage und Skeg kein Problem bereitet. Wir kommen zunächst gut voran, merken dann aber, dass die Ostsee auch in Küstennähe ein Großgewässer ist und der beständige Nordost und die über einen halben Meter hohen Wellen an den Kräften zehren. Nach gut 20 Kilometer gehen wir deshalb zwischen Kleinklützhöved und Großklützhöved an Land. Das Anlanden gestaltet sich schwierig, da die Steilküste an dieser – was wir durch Jübermann aber wissen – "verblockt" ist, d. h. der Strand wird von Findlingen gesäumt. Silke gelingt es, den Hanseat sicher im rechten Winkel an den Strand zu lenken, während mich eine Brandungswelle umwirft und den Tempest gegen einen Stein drückt. Ein Anlanden an dieser Stelle bei Brandung will wirklich wohl überlegt sein. Wer noch nie bei Brandung an Land gegangen ist, sollte tunlichst hiervon absehen und rund acht Kilometer weiter bis an den Sandstrand von Boltenhagen weiterpaddeln. Die Landestelle selbst ist dann jedoch so, wie wir es uns vorgestellt haben. Zwischen Meeressaum und Steilküste liegen rund 10 Meter Naturstrand, der durch das eiszeitliche Geröll eine herrliche Kulisse für den Sonnenuntergang bietet. Da die Stelle von Land aus schwer zu erreichen ist, werden wir nicht durch Spaziergänger gestört. Ohren betäubend ist aber die Brandung, die unablässig die Nacht hindurch auf den Strand trifft. Vor dem Einschlafen bereitet uns die Frage etwas Sorge, wie wir angesichts von Wind, Welle und Findlingen am nächsten Morgen hier wieder wegkommen.

Überfahrt nach Poel

Das Problem löst sich indes von alleine, da der Wind in der Nacht nachgelassen hat. Ohne Schwierigkeiten können wir lospaddeln und nach der Umfahrung von Großklützhöved die kleine Bucht vor Boltenhagen zügig queren. Der Wind nimmt aber wieder zu, schon bald sind 3 bft erreicht, und als wir am Ende des Sandstrandes von Boltenhagen Pause machen, zeigt Silkes Wetterdienst an, dass der Wind auf 4 bft auffrischen wird. Wir entschließen uns dennoch, die anspruchsvolle Etappe in Angriff zu nehmen, die Querung vom Tarnewitzer Huk bis zum Strand von Timmendorf auf der Insel Poel. Da der TKV-Nachrichten September 2007 8 Wind stetig von vorne weht, müssen wir uns zwar rund zwei Stunden kräftig ins Zeug legen, haben dafür aber auch kaum mit der Abdrift zu kämpfen. Im Übrigen hilft bei der Querung ein auf halben Wege stehendes Leuchtfeuer, das wir an Backbord liegen lassen. Auf Poel landen wir ohne Schwierigkeiten am Badestrand unmittelbar links neben dem Hafen von Timmendorf. Von dort sind es rund 200 Meter bis zum Campingplatz Leuchtturm, den wir über den "Hintereingang" betreten.

Ins Salzhaff

Der nächste Tag beginnt verhangen. Wir haben vor, die Insel Poel in nordöstlicher Richtung zu umfahren, um dann in das Salzhaff einzufahren. Der Wind hält mit 3 bis 4 bft an. Zudem kommt er aus nördlicher Richtung, so dass wir permanent gegen die Abdrift anpaddeln müssen. Silke gibt einen Vorhaltekurs von 30 Grad vor. Wir kommen nur langsam voran; mehr als 4 km/h werden es nicht sein. Hinzu kommt der Nebel, der uns zwingt, dicht unter Land zu fahren, damit wir die Orientierung nicht verlieren. Dadurch geraten wir immer wieder in die Brandungszone, wo sich zwischenzeitlich Wellen von rund 75 Zentimetern aufbauen. 90 Minuten nach dem Start gehen wir wieder an Land. Wir dehnen die Pause aus und entschließen uns zur Weiterfahrt, als ein älterer Rettungsschwimmer meint, gegen 14.00 Uhr würde sich der Nebel lichten. Er sollte Recht behalten: Auch wenn Wind und Wellen nicht nachlassen, bricht der Himmel auf und die Sonne scheint, so dass wir uns weiter von der Küste entfernen können. Auch hier haben wir immer noch mit einer starken Dünung zu tun; gegenüber dem Brandungspaddeln vom Vormittag ist sie aber harmlos. Vorbei an Langenwerder und am Boiensdorfer Werder fahren wir in das Salzhaff ein. Wir übernachten am Campingplatz "Am Salzhaff".

Rerik und Kühlungsborn

Es ist Freitag, der vierte Tag "auf See". Schon am Morgen regnet es in Strömen. Unsere Sachen, die wir abends ein wenig trocknen konnten, sind feucht und klamm. Das Zelt müssen wir nass einpacken. Wir fahren über das Salzhaff nach Rerik. Sieben Kilometer ohne Wind und Welle - eigentlich ein Katzensprung nach den Etappen der letzten beiden Tage. Aber Dauerregen und Nebel machen schlechte Laune. Wir erreichen Rerik von der Haffseite aus. Im Hafen schälen wir uns aus Aquashell und Neoprenschuhen und ziehen uns um. In einem Hafenrestaurant bei Matjes, Bratkartoffeln und Pfefferminztee steigt die Laune ein wenig. Wir wollen noch zum Campingpark Kühlungsborn. Die Bedienung weist uns darauf hin, dass in Rostock die Hansesail stattfindet. Alles sei ausgebucht. Ein Anruf beim Campingplatz stimmt nur wenig hoffnungsfroh. Noch sei Platz; nein, reservieren könne man nicht. Wenn wir uns beeilen, würde es vielleicht noch klappen. Also brechen wir schnell auf, und ziehen die Kajaks auf den Bootswagen vom Hafen rund 200 Meter über gutes Pflaster an den Strand. Nach 90 Minuten erreichen wir Kühlungsborn. Der Campingplatz ist vom Strand gut zu erreichen. Natürlich ist noch Platz für unsere Hundehütte. Das allerbeste: Es gibt Waschmaschinen und Trockner. Und so geht es geduscht und frisch rasiert am Abend in die Stadt. Kühlungsborn besteht eigentlich aus zwei Ortschaften – Kühlungsborn-West und Kühlungsborn-Ost, die 1938 als Arendsee und Brunshaupten zu eben Kühlungsborn zusammengeschlossen wurden. Die Ortsteile werden durch eine rund 3 Kilometer lange Strandpromenade miteinander verbunden – über sie gelangt man vom Campingplatz (West) in das "Zentrum" (Ost), dessen Eingang von Seeseite durch die Seebrücke markiert wird. Uns gefällt es in Kühlungsborn, so dass wir hier einen Tag pausieren.

Hansesail 2007

Am Sonntag wird das Wetter wieder besser. Bei leicht verhangenem Himmel starten wir am Vormittag in Richtung Warnemünde-Rostock. Die See ist ruhig, fast spiegelglatt. Ohne Wind kommen wir gut voran. Heiligendamm sehen wir nur von weitem, da wir die günstige Wetterlage ausnutzen und in gut zwei Kilometer Entfernung zur Küste den Weg abkürzen. Warnemünde erkennt man bereits von weitem am Hotel Neptun, das sich als viereckiger Klotz am Horizont abzeichnet. An diesem Nachmittag hätte es allerdings Neptuns nicht bedurft, um Warnemünde früh auszumachen. Es ist Hansesail: Unzählige Koggen, Clipper und Barken fahren durch die schmale Hafeneinfahrt. Dazwischen Frachtschiffe, Tanker, Skandinavienfähren und die Bundesmarine. Und ganz bestimmt handelt es sich bei der Vier-Mast-Bark um die Krusenstern. Die Schiffe sind auf einer Perlenkette aufgezogen und eine Passage scheint unmöglich. Je dichter wir uns dem durch grüne und rote Tonnen gekennzeichneten Fahrwassers nähern, desto mehr klärt sich die Lage. Ein Fischer im offenen Boot, von Silke befragt, spricht Mut zu: Die Hafeneinfahrt sei breit genug; da könnten wir uns mit unseren Kajaks durchmogeln. Gesagt, getan. Wir fahren an die grüne Tonne heran, warten auf eine ausreichende Lücke und spurten so schnell wie möglich quer durch das Fahrwasser. Polizeiboote, Seenotkreuzer und das Rettungsboot der DLRG scheinen in diesem Moment nur die Aufgabe zu haben, uns aus der Hafeneinfahrt zu fischen. Tatsächlich nimmt man uns aber wohl nicht einmal wahr. Egal – wir rühmen uns als Teilnehmer der Hansesail 2007.

Umfahrung Darßer Ort

Nach einer kurzen Nacht ist der weitere Fahrtverlauf zu klären. Entweder wechselt man bei Ahrenshoop in den Saaler Bodden und fährt boddenseitig Richtung Osten. Oder man paddelt seeseitig weiter. Wir entscheiden für Letzteres, weil das Umtragen der Kajaks bei Ahrenshoop sehr anstrengend erscheint. Man muss die Boote über eine steile Treppe auf die Klippe der Steilküste tragen, was ein vollständiges Aus- und wieder Einladen bedeutet. Im Übrigen beträgt die Portage in den Hafen Althagen auf der Boddenseite nach Jübermann 1100 m, wobei weite Strecken des Weges nicht gepflastert sind. Also steht die Umfahrung des Darßer Orts Richtung Prerow an. Dies verlangt, hierauf sei hingewiesen, gutes Wetter und gute Orientierung. Grund: Der Darßer Ort ist ein Naturschutzgebiet Zone 1, das nicht befahren und betreten werden darf. Hier bildet sich durch den Abtrag des Dünensandes von West nach Ost ein Sandhaken, also eine Landzunge, die weiträumig zu umfahren ist. Vom Leuchtturm Darßer Ort aus ist mit etwa 30 Grad das Kardinalzeichen Darßer Ort West anzusteuern. Dieses erreicht, bedarf es einer Kursänderung auf ca. 90 Grad in Richtung des Kardinals Darßer Ort Ost, was am Horizont allenfalls zu erahnen ist. Man ist bis zu vier Kilometern vom Land entfernt. Dies setzt wenig Wind und gute Sicht voraus. Vom Kardinal Darßer Ort Ost geht es dann mit 200 Grad Richtung Regenbogen-Ressort Prerow. Wer glaubt, über die Untiefen die Umfahrung des Darßer Orts abkürzen zu können, muss wissen: Die Nationalparkwacht hat ihre Augen überall. Wer aufgebracht wird, muss mit 300 Euro Geldbuße rechnen.

Whale-Watching vor Prerow

Kurz nach dem Kardinal Darßer Ort Ost kommt es zum tierischen Höhepunkt unserer Fahrt. Unmittelbar vor uns taucht plötzlich eine Finne auf. HAI??? Wal oder Delphin? Wir tippen auf Schweinswal. Mittlerweile sind wir uns nach einem Besuch des Meeresmuseums in Stralsund sicher. Der Schweinswal ist in der Ostsee heimisch. Er wird bis zu 1,80 m lang, lebt vorzugsweise im Flachwasser und springt nicht, im Gegensatz zu Delphinen, die sich ab und an in die Ostsee verirren. Lediglich die Rückenflosse ist manchmal für wenige Sekunden zu sehen. In Prerow verbringen wir nun ein paar Tage auf dem Regenbogencamp. Dies ist einer der schönsten Campingplätze, den wir kennen. Das Zelt kann unmittelbar in den Dünen aufgeschlagen werden. Der feine weiße Sandstrand eignet sich zu langen Spaziergängen.

Über Prerowstrom und durch den Bodden

Von Prerow aus noch einige Kilometer am Darß entlang. Kurz hinter der Seebrücke stellt sich dann erneut die Frage, der weiteren Tourenplanung. Seeseitig weiter oder auf die Boddenseite umtragen? Grund diesmal: Man darf die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst (so die offizielle Bezeichnung) nicht umfahren. Der Ostteil der Halbinsel ist wie der Darßer Ort Naturschutzgebiet, was bedeutet, dass man rund 7 Kilometer hinter Zingst mit 70 Grad über die offene Ostsee die Insel Hiddensee ansteuern muss, um von dort dann über den Strelasund nach Stralsund zu fahren. Problematisch ist dabei, dass auf Hiddensee ein absolutes Zeltverbot herrscht. Wer vorschriftsmäßig paddelt und keine feste Unterkunft auf Hiddensee hat, muss also mindestens 50 Kilometer am Stück bis nach Stralsund durchpaddeln. Wir haben mittlerweile mal wieder 3 bft. von vorne, so dass sich dieses Vorhaben für uns schlechterdings verbietet. Das Umsetzen ist hier einfach. Der Jübermann hat auch hier wieder seine Qualitäten gezeigt. Nach der Seebrücke beginnen nach 2 km Holzbuhnen. Unmittelbar vor der fünften Buhne am seichten Sandstrand problemlos an Land gehen und dann die Kajaks mit dem Bootswagen über die Düne bis zur stark befahrenen Landstraße ziehen. 50 Meter rechts auf der anderen Straßenseite ist ein kleiner, kaum sichtbarer Zugang. Dort hindurch und 150 bis 200 m weiter nach Westen, bis zu einer guten Einsatzstelle in den Prerower Strom. Dieser erinnert mit seinen Reet begrenzten Ufern an ein Binnengewässer, er ist aber – wie der gesamte Boddenbereich – Teil der Ostsee. Wir halten uns bis Zingst immer am linken Ufer; die Meinigenbrücke stellt – obwohl eine Pontonbrücke – für Kajakfahrer kein Hindernis dar. An Zingst vorbei fahren wir über den Barther Bodden und den Grabower Bodden zum Hafen Dabitz. Hier kann man sein Zelt aufschlagen – mehr aber auch nicht.

Stralsund

Der letzte Tag sollte der längste werden. Um neun Uhr sitzen wir in den Booten und überqueren den Grabower Bodden. Vorbei am Großen und am Kleinen Werder sowie am Bock ist der Hafen von Barhöft unser Zwischenziel. Die 20 km ziehen sich scheinbar endlos hin. Der Wind kommt genau aus Nordost und nimmt stetig zu. Hinzu kommt Gegenströmung. Erst gegen halb eins erreichen wir Barhöft. Nachdem wir uns mit Fischbrötchen gestärkt haben, paddeln wir um 14.00 Uhr die restliche Etappe bis nach Stralsund – durch den Kubitzer Bodden in den Strelasund. Der Wind nimmt noch einmal zu, die See wird kabbelig. Wir schätzen den Wind auf mindestens vier. Abends klärt uns der Hafenmeister auf, dass es wohl eher fünf waren. Als wir in den Strelasund einbiegen, werden wir durch die Skyline von Stralsund entschädigt. Die mächtigen – über 100 m hohen – Türme von St. Nicolai, St. Jacobi und St. Marien und die neue Brücke über den Strelasund sind beeindruckend, wir aber noch lange nicht am Ziel. Wir nehmen Kurs auf den Stralsunder KC. Der Steg wirkt jedoch verlassen. Auch müssen wir feststellen, dass bei Welle ein Anladen in ganz Stralsund fast unmöglich ist: hohe Spundwände lassen ein Aussteigen nicht zu. Hier wäre – bei allem sonstigen Lob – ein kleiner Hinweis von Jübermann schön gewesen. Uns bleibt nur übrig, über die Nordmole in den Hafen von Stralsund einzubiegen. Wir unterqueren die Ziegelgrabenbrücke und die neue Strelasundbrücke und steuern den YC Strelasund an, der hinter der Brücke liegen soll. Auch dies ist nicht von Erfolg gekrönt: Der Verein musste dem Brückenneubaus offenbar weichen. Doch dann wird – nach 40 Kilometern Gegenwindpaddeln – alles gut: Im Yachthafen von Dänholm werden wir freundlich aufgenommen. Nach 230 Kilometern in neun Tagen auf See sind wir in Stralsund angekommen.

Gero (Text & Fotos)