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"Was ist der Unterschied zwischen einem Wärmegewitter und einem Frontgewitter? Was bedeutet Missweisung? Und wann setzt man eine stehende, wann eine Standlinienpeilung ein?" Eine Reihe derartiger Fragen sowie eine konkrete Tourenplanungsaufgabe hatte Gero im Vorfeld des Workshops an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer geschickt. Mal sehen... Hm, etwa die Hälfte der Fragen kann ich nicht oder nur schwammig beantworten. Also lese ich mich erst mal etwas ein. Auch an der Planungsaufgabe für eine Mehrtagestour an Rügens Küste knoble ich eine ganze Weile herum, bis ich eine geeignete Route für die vorgegebenen Windverhältnisse finde. Ich bin gespannt was mich erwartet, als ich am Samstagmorgen im TKV Clubraum eintreffe.

Alles ist bestens vorbereitet. Etwa ein Dutzend Teilnehmer haben sich um den großen Tisch versammelt. Dort ist schon ein Miniatur-Fahrwasser mit grünen, roten und schwarz-gelben Modell-Seezeichen aufgebaut. Die meisten Teilnehmer kommen vom TKV, aber mit Sascha vom KCM, Thomas von TIB und mir vom KC Zugvogel sind auch ein paar Externe dabei. Auch in puncto Vorkenntnisse sind wir eine bunte Truppe. Das Spektrum reicht von völligen Anfängern wie mir bis hin zu Thomas Kerberger, der für die Salzwasserunion das Regionale Sicherheitstraining (RST) für Berlin veranstaltet und während des Workshops mit seiner Erfahrung immer wieder hilfreiche Tipps beisteuert.

Zunächst beschäftigen wir uns mit dem Thema Seetüchtigkeit. Gero macht uns mit der vollständigen Ausstattung eines Seekajaks vertraut. Dabei wird meine Liste der Dinge, um die ich mich für mein Boot noch kümmern muss, immer länger. Wir überlegen, was man im Notfall alles griffbereit haben muss - also nicht irgendwo unter Deck verstaut. Wir kommen schnell darauf, dass eine Schwimmweste mit möglichst vielen Taschen hilfreich ist, um das wasserdicht verpackte Handy, Müsliriegel, Messer, Schleppleine und Notsignal "am Mann" zu haben.

Nach dieser kurzen Theorieeinheit machen wir uns an die praktische Aufgabe. Rolf hat aus Geros Windvorgaben in der Hausaufgabe die optimale Fahrtroute als Richtungspfeile grafisch ermittelt und dann eine passende 4-Tages-Tour zusammengestellt. Er erläutert uns seine detaillierte Planung mit Zeitangaben inkl. Autotransfer, Fahrtstrecken, Pausen- und Übernachtungsplätzen: Start am Kubitzer Bodden und dann im Uhrzeigersinn etappenweise an der Südküste entlang und um den Südwestzipfel der Insel herum. Wir diskutieren die Planung eifrig und sie wird schließlich als recht gelungen eingestuft. Ich freue mich, dass einige der von Rolf geplanten Etappen genau mit meinem Tourenvorschlag übereinstimmen. Allerdings war ich nicht auf die Idee gekommen, die Anreise schon auf den Vorabend zu legen und hatte noch nicht alles so genau durchgeplant. Während Rolf und ich die Aufgabe eher mit Blick auf Seekajakanfänger gelöst haben, ist Kay als erfahrener Seekajaker genau andersherum herangegangen. Er hat sich für seine Tour die West- und Nordküste ausgesucht, um mit dem Wind zu spielen. Er plant für den Tag mit 5 Bft aus Nordwest mit 7-8er Boen, eine zweite Nacht auf dem Campingplatz an der Nordküste bei Schwarbe zu bleiben, um nachmittags vor dem dortigen Standstrand mit den Wellen zu spielen und zu surfen. Diese Idee scheint Gero offenkundig sehr zu freuen.

In der Planungsaufgabe waren die Windverhältnisse vorgegeben. Doch wie können wir für eine reale Tourenplanung den zu erwartenden Wind, Seegang sowie die Gefahr von Gewittern und Seenebel einschätzen? Gero und Rolf erläutern einige meteorologische Grundlagen, z.B. Wolkenarten, den Aufbau einer Kaltfront und woran man ihr Herannahen erkennt. Das versuchen wir mit dem in Verbindung zu bringen, was wir auf der Internetseite von windfinder.com sowie einer Isobaren- und einer Seewetterkarte des Deutschen Wetterdienstes sehen. Besonderns spannend wird es, als wir alle eine Kopie des Seewetter-Formulars des Deutschen Wetterdienstes bekommen und darauf die Angaben des heutigen Radio-Seewetterberichts mitschreiben sollen, den Gero morgens extra für uns aufgezeichnet hat. Wären wir auf einer Tour ohne Internetzugang, müssten wir nun anhand der notierten Angaben unsere eigene Wetterkarte zeichnen und diese dann interpretieren. Holla! Im Clubraum haben wir es einfacher und können uns die aktuelle Wetterkarte im Internet anschauen. Die dort sichtbare Front deckt sich mit den Angaben des drehenden Windes im Seewetterbericht.



Zum Abschluss des ersten Workshoptages gibt Gero uns noch einen Überblick über die verschiedenen Seezeichen - Kardinale in schwarz-gelb, die Gefahrenstellen markieren, sowie Laterale in rot oder grün zur Fahrwassermarkierung. Zu meinem Erstaunen erfahre ich, dass die merkwürdigen Besen, die auf Geros Fotos irgendwo im Watt stecken, ebenfalls wie rote Fahrwassermarkierungen zu verstehen sind. Tja, in süddeutschen Weingegenden bedeutet so ein Besen, dass es da frischen Wein gibt - aber diese Symbolik war im Watt ja eher nicht zu erwarten.

Der zweite Tag des Workshops ist komplett der Aufgabe gewidmet, für das Himmelfahrtswochenende 2011 eine Tour nach und um Spiekeroog zu planen. Gero verteilt Kopien der entsprechenden Seekarte und des Tidenkalenders und gibt uns erst mal eine kurze theoretische Einführung zum Thema Gezeiten an der Nordsee. Anschließend notiert Jens die Tourenplanung in einem Planungsformulars von Udo Beier. Wir wollen also in Neuharlingersiel starten und zum Zeltplatz am Strand von Spiekeroog fahren. Wann ist der geeignete Zeitpunkt zum Losfahren, um mit der Strömung zu fahren? Tidenkalender und Strömungsatlas geben Aufschluss - sofern man erst mal raus hat, wie man diese Infos auffindet!

Komplizierter wird es für die Planung der Inselumrundung für den nächsten Tag. Wo können wir überhaupt fahren, wo eine Rast einlegen mit Rücksicht auf Naturschutzgebiete und Fahrrinnen? Silke wirft ein, dass sie an der Nordküste von Spiekeroog wegen der Brandung gerne mit ablaufendem Wasser fahren möchte. Also planen wir die Runde gegen den Uhrzeigersinn. Die Fahrzeit wird geschätzt, der Zeitpunkt des Tidenkipps ermittelt. Gero und Silke machen uns mit der 12er-Regel zur Berechnung des Wasserstands in den Stunden zwischen Hoch- und Niedrigwasser vertraut. In welchem Zeitfenster kommen wir über den Wattrücken, der bei Ebbe trocken fällt? Jens trägt für jeden Tourenabschnitt die Werte in die Planungstabelle ein. Seine Töchter Linn und Paula hatten bei der Vorstellungsrunde gestern noch gesagt, sie seien "einfach nur mitgekommen". Aber sie sind voll dabei und berechen jetzt mithilfe von Silkes Tipps flugs den Wasserstand am höchsten Punkt des Wattfahrwassers.

Alle blättern im Tidenkalender, rechnen, zirkeln Entfernungen auf der Karte ab, planen und besprechen ihre Planungen miteinander. Gero steht neben dem Tisch und verfolgt die wilden Debatten interessiert. Es ist ihm gut gelungen, trotz unterschiedlichster Vorkenntnisse alle aktiv mit einzubinden. Nach einiger Zeit steht die Planung für die Umrundung. Sie erweist sich als realistisch und zeitlich durchaus komfortabel. Weniger komfortabel dürfte sein, dass das Wasser zuweilen nicht dort ist, wo es gebraucht wird, so dass für den Bootstransport am Zeltplatz der obligatorische Bootswagen zum Einsatz kommen wird.


Nun bleibt noch die Frage zu klären, wie wir uns unterwegs orientieren können. Hier kommen nochmals die Fahrwassermarkierungen ins Spiel. Doch wie steht es auf der Seeseite der Insel, deren Strand überall praktisch gleich aussieht? Ein Windrad und eine Bake auf der Insel dienen als Orientierungspunkte. Später bleibt nur noch die Wattkante mit ihrem Brandungskranz. Kompasskurse zwischen den einzelnen Orientierungspunkten helfen, diese zuverlässig ansteuern zu können.

Ich kann mir noch nicht recht vorstellen, wie das in natura aussehen und funktionieren soll - wie sich die Wasserfläche in eine Landschaft aus Sandbergen verwandelt du man sich darin zu Recht findet. Bisher war ich leider noch nie an der Nordsee. Ich hoffe, dieses Jahr wenigstens ein paar Mal auf der Ostsee zu paddeln, denn der Workshop hat mich sehr neugierig auf Salzwasser gemacht. Doch erst mal überhaupt wieder aufs Wasser kommen! Denn als wir am Sonntagnachmittag zufrieden und mit jeder Menge Theorie-Input das Vereinshaus verlassen, ist das Tegeler Fließ noch zugefroren. Die (Süßwasser)Praxis muss also leider erst mal warten.

Text und Fotos von Susanne O. (Kanuclub Zugvogel)