Text: Kai-Uwe
Fotos: Claudia, Mario
Es begann mit Ralfs Suche nach Verrückten bzw. winterharten Verrückten für einen Selbstversuch. Eine entsprechende Umfrage stieß auf überraschend großes Interesse. Was ist daraus entstanden? Ein Winter-Sicherheitstraining, ein Trockenanzugstest, ein Selbsterfahrungsseminar - ich und die Elemente - oder einfach ein paar Verrückte, die sich bei 4,5 ° Celsius Wassertemperatur freiwillig in den Tegeler See stürzen wollten? Damit Ihr Euch eine eigene Meinung bilden könnt, teile ich nachfolgend meine Erfahrungen.
Ich war hoch gespannt und hatte durchaus Respekt vor dem, was da kommen sollte. Wir trafen uns am Sonntag, den 15.12.2024, am frühen Mittag im vorgeheizten Bootshaus. Einige Teilnehmer waren verhindert, dafür sprang Karin kurzfristig als zusätzliche Helferin ein. Somit hatten wir ein wunderbares Helfer-Teilnehmer-Verhältnis. Wir, das waren als Teilnehmer Hans-Carl, Matthias und ich, als Helfer Richard, Mario und Karin sowie als Initiator und Ausrichter Ralf.
Erwartungsgemäß gab es ein gut durchdachtes didaktisches Konzept. So begannen wir – sehr niedrigschwellig! – mit einer Wiederholung des assistierten Wiedereinstiegs im trockenen Clubraum. Keine Kälte, kein Wasser – nur ein Boot und eine Helferin im (imaginären) zweiten Boot. Körper und Kopf konnten sich so an die Abläufe erinnern (beispielsweise: wenn Einstieg an linker Bootsseite, dann zuerst linke Hand und linkes Bein …). Ungeplant erfuhren wir in einem kleinen Praxisexkurs, was passiert, wenn jemand (wie bei unserem Übungsboot) die Rundumleinen eines Kajaks so richtig schön straff spannt: Sie werden leider vollkommen nutzlos, weil sie sich nicht mehr greifen lassen – schon gar nicht mit dicken Handschuhen.
Somit gut herangeführt ging es los zur Badestelle Reiherwerder am Forsthaus (neben der DLRG-Rettungsstation). Das Konzept sah vor, dass wir zur Erwärmung zunächst eine Runde um Hasselwerder fahren sollten. Ich fühlte mich zwar bereits sehr warm, als ich die Insel erreichte. Aber die Rückmeldung von kompetenter Seite lautete, dass meine Muskeln noch eine Runde zur Erwärmung bräuchten. Nun gut.
Als wir – nach diesem vermeintlichen Umweg – die Badestelle erreichten, wurden unsere Mühen reichlich belohnt. Das Support-, Rescue-, Strand- und Social-Media-Team, bestehend aus Claudia, Michael, Catharina, Finja und Mika, erwartete uns! Toll! Ein wenig fühlte ich mich, als wäre ich Teil von etwas Außergewöhnlichem, das eben auch Aufmerksamkeit erregte.
Ein – wohl extra zu unserer Sicherheit bereitgestellter 😉 – Rettungswagen fuhr wenige Minuten nach unserem Eintreffen wieder ab. Offensichtlich haben wir in unseren Booten einen hinreichend souveränen Eindruck gemacht. Ich empfand das durchaus als angemessen. Das Media-Team war aktiv, klärte noch kurz die DSVGO-Konformität ab (halt Profis!) und produzierte Content mit uns als Protagonisten!
Gerade als die Gefahr der Selbstüberhöhung sich zu konkretisieren begann, liefen Wasserretter der DLRG leichtfüßig und nur mit einem Handtuch als Lendenschurz bekleidet auf ihrem Steg in Richtung Wasser – und stiegen auch hinein. Also, die Relationen waren wieder verschoben – man könnte auch sagen: gerade gerückt. Als ich dem kleinen Handtuch der Eisbader meine Ausstattung (Trocki, Sturmhaube, dicke Neopren-Handschuhe, Schwimmweste, Nasenklammer …) gegenüberstellte, kam ich mir etwas „overdressed“ vor.
Soviel zum Vorspiel und der Herstellung der Relationen. Jetzt ging es los mit den respekteinflößenden Aktivitäten. Das erwähnte Konzept sah vier Disziplinen vor: Kaltwassertest der Trockenanzüge, Schwimmen zum Boot, assistierter Einstieg und Kenterung mit Aus- und Wiedereinstieg. Jederzeit war immer nur ein Teilnehmer im Wasser – und somit sehr gut abgesichert. Den ersten Rundum-Wasser-Kontakt hatte ich mit Spannung erwartet. Und? Ich war sehr angenehm überrascht. Die Kälte war weniger unangenehm als erwartet. Durch den Auftrieb von Trocki und Schwimmweste lag ich rücklings entspannt auf dem Wasser und hatte Assoziationen mit einem Wellness-Aufenthalt in ganz anderen, sehr salzhaltigen Gewässern. Aber zurück zu den Lernthemen: Alle haben die vorgegebenen Disziplinen problemlos absolviert. Dabei gab es einige Erkenntnisse: Schwimmwesten funktionieren besser, wenn sie ordentlich festgezurrt sind – sie rutschen dann nämlich nicht, durch den Auftrieb verursacht, vors Gesicht –, Trockis bleiben besonders trocken, wenn alle Reißverschlüsse vollständig geschlossen sind, dicke Handschuhe können kontraproduktiv sein, weil sie den bei kalten Fingern ohnehin eingeschränkten Tastsinn zusätzlich beeinträchtigen …
Je nach Vorlieben wurden individuell noch Kenterrollen, der Wiedereinstieg mit Paddelfloat oder der Cowboy-Einstieg geübt. Begleitend gab es Anschauungsunterricht zum Thema Paddel-Handling: „Schwupps, wo ist es nur hin?“, Fesselung und Entfesselung mit der Paddelleine oder auch der gekonnte Paddeltransfer „down-under“ (unter dem Bootsrumpf hindurch). Nachdem sich jeder ausreichend ausprobiert hatte, ging es zurück – in die Wärme!
Mit Kaffee, Tee und diversen Keksen hatten wir in vorweihnachtlicher Atmosphäre einen entspannten Ausklang. Oder? Ja, schon. Aber ganz unmerklich – zunächst getarnt als Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hatte – haben wir noch die Theorie zum Winter-Sicherheitstraining dazubekommen. Das war nicht so zufällig, wie es wirkte; nach meiner Einschätzung gab es sogar ein vorbereitetes Skript, das abgearbeitet wurde.
Themen waren u. a.: Auskühlung im Wasser versus an der Luft (im Wasser fünfundzwanzigmal schneller als an der Luft), erste Hilfe bei verschiedenen Graden der Unterkühlung, Rettungsdecke versus Rettungs-Biwaksack etc. Sehr hilfreich waren auch die Ausführungen zur Vermeidung besonderer Gefahren. Hier ging es beispielsweise um die aufsteigende Luftblase am Fußende des Trocki, wenn dieser nicht richtig entlüftet wurde, oder ein möglicher Zustand bei einem Kälteschock, bei dem nicht einmal ein Luftröhrenschnitt Rettung verspricht. Klingt drastisch? Ja – aber es wurde ja erklärt, wie es gar nicht erst dazu kommt. Ich finde solche Kenntnisse sehr wertvoll.
Und dann wendeten wir uns wieder verstärkt den Keksen und Getränken zu. Nach meinem Eindruck waren wir alle in einem recht zufriedenen Zustand. Wie immer nach Praxisübungen im TKV bat das Team am Ende aber auch um kritische Anmerkungen. Ich versuche es mal: Ich hätte gern noch mehr Varianten des Wiedereinstiegs geübt. Andererseits, ich war auch so schon kurz vor der Grenze zum Auskühlen und zur Erschöpfung. Also, so wie es war, war es gut. Mit mehr Teilnehmern hätte sich die Übung womöglich zu sehr in die Länge gezogen.
Wie auch immer man dies Zusammentreffen nennen will – ich denke, alle eingangs genannten Bezeichnungen hätten Ihre Berechtigung –, ich empfehle es sehr und würde wieder mitmachen, wenn es erneut die Gelegenheit dazu gäbe.
Oder, um Bob Dylan zu zitieren: Don't you dare miss it!