10-Seen-Fahrt

Um 5.30 riss uns das Radio unsanft aus dem Schlaf. Nach dem obligaten Paddelwochenend-Morgenzeremoniell von Duschen, Anziehen, Frühstücken und eiligem Zusammensuchen der letzten Utensilien fuhren Katrin und ich in den Tegeler Kanu-Verein um unserem kleinen Nissan Micra mal wieder zwei ausgewachsene Paddelboote aufs Dach zu binden. Damit machten wir uns aus der noch im Tiefschlaf versunkenen Großstadt auf nach Mecklenburg. Ein Stück hinter der brandenburgischen Grenze landeten wir in dem kleinen Weiler Wustrow, und gleich am Dorfeingang fanden wir den Zugang zu unserer Einsatzstelle. Zuerst trafen wir auf Kirsten, die Paddelurlaub machte und sich schon einige Tage in der Gegend rumgetrieben hatte und dann an der Einsatzstelle ihr Nachtlager aufgeschlagen hatte. Während wir die Boote startklar machten, gesellten sich auch Eckert und Bernd zu uns, die schon die letzte Nacht auf einem Campingplatz in der Nachbarschaft verbracht hatten. Zu fünft legten wir los, und zunächst fuhren wir über den Plätlinsee in die Schwaanhavel. Kaum zwei Meter breit bedurfte es öfter allen Rangiergeschickes, um durch diesen idyllischen Streckenabschnitt mit Hotzenplotz, dem Zoar von Necky durchzukommen.

Überdies lungerten an vielen Ecken Tagestouristen mit Mietkajaks oder -Canadiern rum, die die einsame Seenplatte sehr belebten. Nach ungefähr 7 Kilometern fuhren wir ein Stück in einen stillen Seitenarm der Schwaan-Havel, den von uns auserkorenen ‚Amazonas' in der Tour. Zwar fehlten die Mangrovenwälder, aber die zahlreichen Bäume, die unsere Strecke zum Teil versperrten und die Durchfahrt erschwerten, verliehen in Zusammenarbeit mit den Mückenschwärmen, die einem das hin und wieder nötige Anlanden vermiesen wollten, der Landschaft einen urtümlich-verwunschenen Charakter, der uns an die ersten Abenteurer in Südamerika denken ließ. Zwar verhinderten solche Abstecher eine ambitionierte Kilometerleistung, aber die herrlichen Eindrücke waren das allemal wert.

Schließlich gelangten wir über die Havel in den Finowsee. Dort machten wir ‚Rast beim Fischer' und weideten den Petrijünger bis auf die letzte Stulle aus, bevor wir uns den selbst mitgebrachten Broten widmeten. Hier wie auch etliche Male während der Fahrt bewunderten wir zu viert Kirstens letzten Tage: sowohl zu Wasser als auch zu Lande trafen wir immer wieder an allen möglichen Ecken und Enden Bekannte, die sie in den vergangenen Tagen schon beim Paddeln kennen gelernt hatte. Meine Lehre aus der Geschicht: Sollt' ich mal einsam sein, dann fahr ich nach Mecklenburg zum Paddeln - dort ist immer was los, man lernt Leute kennen und wenn man will, ist man bald zweisam... Nach wenigen Kilometern stand uns in Priepert wieder ein Cafe im weg, wo wir uns mit Kaffee, Eis oder Kuchen (oder auch Kaffe, Eis und Kuchen) stärkten bevor wir die letzten Kilometer zu unserem Campingplatz am Ellbogensee fuhren. Dort schlugen wir die Zelte auf und klönten bis Spätabends.

Eckert gab dabei ingenieurtechnisches Spezialwissen vom feinsten preis und erklärte uns bei einem Bier, wie Kirstens steuerloser Klepper Alu Lite mit Hilfe von diversen Hülsen, Klammern und Silikonbändern steuerbar gemacht werden könnte. Obwohl ich die genaue Vorgehensweise nicht mehr ganz nachvollziehen kann (Eckert, verzeih's mir, ich bin halt kein Techniker!), weiß ich inzwischen, dass Hülsen (Hülsen! Hüüüüüüüüülsen!!) bautechnisch betrachtet eine eierlegende Wollmilchsau sein müssen.

Am nächsten Morgen überraschte uns Kirsten mit einem Spektakel der ganz besonderen Art: Unser Frühstücksplatz war etwas ab vom Schlafplatz. Kirsten war deutlich vor mir dort und als auch ich mit Sack und Pack zum Frühstück marschieren wollte, wunderte ich mich zunächst, dass sie anscheinend ein Lagerfeuer zum Frühstück machte (... Würstchengrillen? Det macht man doch sonst Abends...vorgezogenes Sonnwendfeuer? ...macht man doch nur in Österreich...). Beim Näherkommen erkannte ich durch die Flammen noch vage Kirstens alten Campingkocher, der ein gewaltiges Eigenleben entwickelt hatte und mit lodernden Flammen um sich schlug. Nach kurzer Beratschlagung wurde das Ende des feuerspeienden Ungetüms beschlossen und Kirsten und Eckert plünderten kurzerhand einen nahen Sandhaufen und begruben das Teil im Sand. Mir wurde anschließend die Ehre zu Teil, die letzten züngelnden Flammen, die sich noch durch den Sandberg schoben, mit einem gezielten Stoßseufzer auszuhauchen bevor wir gepflegt den Frühstückshunger stillten.

Danach ging's an's Zusammenpacken und an die Rückfahrt nach Wustrow. Über den Ellenbogensee, den Großen und den Kleinen Pälitzsee, den Canower See, den Labus-, den Gobenow- und den Klenzsee gelangten wir nach zwei Schleusungen zurück nach Wustrow und hatten unsere Runde und damit das Paddelwochenende wieder zu einem schönen Ende gebracht. Kirsten, die - nun kocherlos - noch weitere Paddeltage in dieser Gegend verbringen wollte, überzeugte Eckert, ihr dabei Gesellschaft zu leisten. So ließen wir Kirsten mit ihren Nudelnvorräten und Eckert mit seinem Kocher als das Dreamteam der mecklenburgischen Seenplatte zurück.

Sepp P.