Brandungspaddeln mit Herwart

Die sms klingt sehr aufgeregt. Es ist von Sturmwarnung die Rede, von Nordwind, von 2 m – Wellen. Sturmwarnung! Dieses Wort lässt niemanden unberührt. Jedoch, wo die meisten anfangen, ihr Hab und Gut zu sichern, ihre Reisepläne zu hinterfragen, um dann besser zu Hause bleiben, fangen bei Steven und mir die Augen an zu leuchten. Sturmwarnung - noch besser klingt nur: orkanartige Winde!

Ich dachte an unser vergangenes Wochenende, welches als Brandungspaddeln ausgeschrieben war und sich als einer dieser seltenen Tage entpuppte, der uns die Greifswalder Oie unter Ententeichbedingungen erfahren ließ. Ein tolles Wochenende, aber wir fühlten uns trotzdem vom Oktoberwetter um unser Brandungspaddeln betrogen.

Ich schreibe eine sms zurück, darin die Worte Flexibilität und Spontaneität. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Boote aufladen heute Abend oder morgen früh? Ich bin gerade auf einer Geburtstagsparty, im Stillen feiere ich schon unseren morgigen Tag, oder doch zumindest meine Erwartung an diesen Tag.

Als Austragungsort entscheiden wir uns am kommenden Morgen für Międzyzdroje, bei Nordwind werden hier die am Strand auslaufenden Wellen bis an die Dünen getrieben, ein Einstieg und Herantasten an den ersten Wellenberg ist entspannt möglich. Als wir am späten Vormittag eintreffen, ist es wie immer an solchen Tagen: Sturmtief Herwart erwartet unsdie Freunde des Kitesurfens sind ebenfalls vor Ort. Für uns ein Zeichen, dass die Bedingungen stimmen. Der Blick auf die See lässt schnell erkennen, dass sie es heute auch den Kitesurfern schwer werden lässt. Mir rutscht bei ihrem Anblick erst einmal das Herz Richtung Hose. Wo ist die ganze Euphorie geblieben? Wo kommen auf einmal diese Gedanken vom hilflosen Ausgeliefertsein in meinem Kopf her? Warum sehe ich mein Boot plötzlich als Nussschale?

Kann mir nicht einfach jemand ein bisschen Mut zufächeln?!: Das ist doch nur Wasser! Wenn auch ein wenig höher als gewöhnlich und, na ja, zugegeben, ganz schön schnell einlaufend und hochfrequent brechend. Eine Waschmaschine. Aber du willst dich etwas frisch machen. Also, rein mit dir!

Respekt vor den WellenHinein in die Brandung

So ist es anfänglich, man zweifelt an sich, am Wind, an den Wellen, am Boot – aber sobald man mittendrin ist, ist aller Zweifel vergessen. Hochkonzentriert geht es durch die Gischt, die nächste Gischtwelle ist schon stärker, die erste Welle, moderat, die Hüfte ist entspannt, balanciert aus, das selbe in der nächsten Welle, Wasser drückt gegen den Brustkorb, das Paddel hilft der Hüfte beim Halten des Gleichgewichts, um in der nächsten brechenden Welle schon als Stütze zum Einsatz zu kommen. Zwischen den Brechern heißt es paddeln, paddeln, paddeln. Irgendwann ist es vor mir ruhiger, die nächste Welle baut sich zum Brecher auf, es geht schnell, sehr schnell, sehr hoch und bricht genau an der Spitze des Bootes, über mich zusammen. Stütze ich richtig? Kann ich mich orientieren? Hat sie mich schon umgeworfen? Wo hängt mein Paddel rum, wo die Wasseroberfläche? Auf welcher Seite muss ich hoch? Der erste Versuch misslingt. Fuck, immer noch keine Routine!!! Warum so hektisch? Was will der blöde Kopp schon so zeitig hier oben?! Zweiter Versuch klappt. Na, geht doch.

Aber es geht nicht immer. Die Wellen nehmen dich im Seitwärtssurf mit, in Kreuzseen hoppelt dein Boot darüber wie ein Spielzeugball, du kannst dich nirgends hineinstützen. Manchmal hoppelt man aus, das andere Mal liegt man urplötzlich im Wasser. Mit durchrollen ist nichts, der Helm schleift über Grund. Aussteigen ist in dieser Situation auch nicht sehr bequem, man muss sich winden können wie eine Katze. Oder man wartet, bis die nächste Welle dich an das Ufer spült. Halb im Sand steckend kann man zumindest wieder durchatmen...

Dann kommt es zu dieser Situation. Schon etwas weiter entfernt vom Ufer ein Brecher, der Versuch des Durchrollens durch die Welle, ein stechender Schmerz in der Wade, Rollversuch abrechen und Ausstieg. Der Versuch des Bootfesthaltens misslingt, der Schmerz lässt auch den Arm nicht funktionieren. Ich versuche den Krampf zu lösen, aber selbst, als ich, viele Brecher später, schon Sand unter den Füßen spüre, kann ich nicht aufstehen. Ich lasse mich ans Ufer schieben, Boot und Paddel treiben entfernt mit. Dies muss man sich als Option zwingend offen lassen können: auflandiger Wind und keine Unterströmung. Hier geht das.

Was nicht geht, sind Rettungsübungen im Brandungsbereich. Zumindest nicht heute. Dafür ist der Wind zu stark, die Brecher zu kraftvoll und die Wellenphase zu kurz. Jeder ist auf sich allein gestellt.

Paddeln in der Brandung

So versuchen wir, uns weiter und weiter mit dem Wellenspiel auseinanderzusetzen, unsere beschränkten Fertigkeiten zu nutzen und die Grenzen auszutesten, um sie erweitern zu können. Das klappt ganz gut, beide sind wir konzentriert und mit Spaß bei der Sache. Am Ende fehlt die physische Kraft. Die See kennt dieses Problem nicht, ganz im Gegenteil, sie wird rauer, der Wind hat zugenommen. Wir kommen kaum mehr durch die ersten Wellen, werden immer wieder zurück geworfen. Wir machen Schluss für heute.

Die See wird immer Sieger bleiben, aber wir fordern sie auch nicht wirklich heraus - wir spielen nur mit ihr... Und das macht wohl beiden Spaß.