Osterwochenende in der dänischen Südsee

Mommark, 10. April 2009, 10.00 Uhr: Pünktlich zur verabredeten Zeit starten wir unsere Überfahrt über den Kleinen Belt zur Insel Ærø. Gemeinsam mit unseren Paddelfreunden Karl (aus Bremen), Sabine und Rainer (aus Hamburg) sowie Birte und Thomas (aus Schulzendorf) wollen Silke, Daniel und ich das Osterwochenende mit dem Seekajak in der Dänischen Südsee verbringen oder, wie die Dänen sagen, im Sydfynske Øhav und damit die Inselwelt südlich der Insel Fünen meinen. Acht Paddlerinnen und Paddler verteilen sich auf vier Einer und zwei Zweier. Wir wollen die Nordwestspitze von Ærø mit ihrem gut sichtbaren Leuchtturm ansteuern, um von dort aus weiter nach Avernakø zu fahren.



Über den Kleinen Belt
Die Fahrt von Mommark nach Ærø bedeutet gleichzeitig, den Kleinen Belt, neben dem Großen Belt und dem Øresund eine der drei natürlichen Verbindungen zwischen Nord- und Ostsee auf einer Länge von 11 Kilometern zu queren. Der Wind hat in den letzten Tagen mit bis zu 5 bft. aus Ost- bis Südost geblasen und Wellen von bis zu 70 Zentimetern aufgebaut. Hiergegen gilt es - bei aktuellen 4 bft. aus Südost - in den nächsten zwei bis drei Stunden anzupaddeln. Das Paddeln gegen Wind und Welle ist zwar anstrengend, stellt uns technisch aber vor keine Probleme, da ein Seekajak ohnehin dazu neigt, sich in den Wind zu drehen. Karl, Paddelurgestein aus Bremen und unser Fahrtenleiter, hat einen Vorhaltekurs von 20 Grad vorgegeben, so dass wir nicht direkt auf den Leuchtturm zuhalten und so eine Hundekurve vermeiden. Gut gefrühstückt und mit genügend Wasser und Schokoriegeln ausgestattet steuern wir unser Ziel an.
Gegen 12.30 Uhr erreichen die Nordwestspitze von Ærø. Da der Wind mittlerweile auf Ost gedreht und weiter zugenommen hat, sehen wir davon ab, nach Avernakø zu fahren. Dies hätte eine weitere Querung mit direktem Gegenwind bedeutet, so dass wir kaum Fahrt über Grund gemacht hätten. Nach einer kurzen Pause bummeln wir die Westküste von Ærø ab, um nach einer Stunde unser erstes Lager aufzuschlagen. Wenige Meter hinter dem Strand finden wir ein schönes Stück Grünland, wo wir die Zelte aufbauen. Bald sitzen wir in der warmen Sonne bei Kaffee, Tee und Kuchen, als die vermeintliche Eigentümerin ihre Besitzrechte reklamiert. Ob ihr das Land wirklich gehört, werden wir nicht herausfinden. Um aber nicht wieder in die Boote einsteigen zu müssen, entrichten wir für unsere fünf Zelte eine stattliche Gebühr von 50,00 €, dürfen uns dafür aber auch jedenfalls bis zum nächsten Morgen als die Herren dieses kleinen Stücks der Dänischen Südsee fühlen. Gegen Abend wird es schnell empfindlich kalt, wogegen auch das vorzeitige Osterfeuer am Strand nicht viel hilft. Noch vor halb zehn liegen wir alle in den Schlafsäcken.

Von Ærø nach Lyø
Am nächsten Morgen hat der Wind wieder zugenommen. Wieder sitzen wir pünktlich um zehn in den Booten und fahren zurück zur Nordwestspitze von Ærø, was ohne Kraftanstrengung möglich ist. Die Wellen schieben uns an der Küste entlang und die Abdeckung durch Ærø verhindert die Entstehung von seitlichen Wellen. Das ändert sich schlagartig, als wir die Insel passiert haben und auf Lyø zuhalten, um die Ostsee auf einer Länge von acht Kilometern zu queren. Zwar werden wir immer noch von achterlichen Wellen geschoben, jetzt kommen aber auch seitliche Wellen hinzu. Wir sind im Kabbelwasser. Die Wellenhöhe nimmt bis zu einem knappen Meter zu und die Transporterwellen, wie Karl sie gerade noch genannt hat, verwandeln sich in Surfwellen. Beste Bedingungen für den Test meines neuen Seekajaks, der GrünenGräte. Ich fahre das Skeg voll aus, lege los und bin begeistert: Das Boot erreicht im Surf bis zu 14 km/h und es bricht vor allem nicht mehr seitlich aus. Dies ist das Grundproblem der meisten Skegboote. Bei Windstärken ab 5 bft. (manchmal auch schon eher) und achterlichen Wellen legen sie sich quer zur Welle und müssen dann mit viel Kraft wieder auf Kurs gebracht werden. Man kann versuchen, dies durch Steuerschläge zu verhindern. Das verlangsamt aber die Fahrt und ist auf Dauer anstrengend. Die GrüneGräte kann ich indes laufen lassen und muss nur ganz gelegentlich etwas mit dem Heckruder korrigieren. Für kurze Zeit gelingt es mir sogar, an Karl dranzubleiben. Als er mich jedoch in den Augenwinkeln entdeckt, macht er mir klar, was eine perfekte Paddeltechnik ausmacht: Mit seinem Pintail, einem rund 15 Jahre alten Boot von Valley, tänzelt er auf den Wellenkämmen und behält das Boot mit wenigen präzise angesetzten Grundschlägen so auf Kurs, dass es zu gar keiner seitlichen Abweichung kommt. Und das alles ohne Steuer. Nach kurzer Zeit liegt Karl mehr als zweihundert Meter vor mir. Ich habe meinen Meister gefunden. Bald haben wir Lyø erreicht und kommen auf der Westseite in die Windabdeckung. Wohl immer noch im Rausch der Geschwindigkeit bin ich für einen Augenblick unaufmerksam und "falle in den Bach". Den ganzen Winter habe ich die Kenterrolle geübt, auf dem Tegeler See bei Wassertemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt ebenso wie im Schwimmbad. Nach der Querung des Kleinen Belts am Tag zuvor habe ich mich ebenfalls reinfallen lassen und bin wieder hochgerollt. Aber alle Kenterungen waren freiwillig und bewusst gesteuert. Und jetzt das. Im Moment der Kenterung schaffe ich es, mich in die Situation der 1000-Schwimmbad-Rollen hineinzuversetzen. Unter Wasser lasse ich mir Zeit und sortiere meine Gedanken, ich richte mein Paddel aus, stelle das Blatt auf, damit ich beim Hochrollen nicht unterschneide und denke daran, dass zuletzt der Kopf aus dem Wasser kommen muss. Dann setze ich zum Bogenschlag an und bin wieder oben. Nie hätte ich geglaubt, dass ich jemals eine Rolle im Echtbetrieb schaffen würde, zumal Karl kurz zuvor noch auf den großen mentalen Unterschied zwischen gewolltem und ungewolltem Kentern hingewiesen hat. Nun ist es vollbracht. Trotzdem fühle ich mich in den ersten Minuten merkwürdig unsicher und mag das Paddel gar nicht loslassen, als ich meine Mütze wieder aufsetzen will. Nachdem ich mich wieder gefasst habe, könnte es jetzt eigentlich so richtig losgehen. Da die Querung aber anstrengend genug war, entschließen wir uns auf Lyø an Land zu gehen und unser Quartier hier aufzuschlagen.

"Vilkommen auf LyØ" - von Hasen und Hunden

Nachdem wir das von Rainer geforderte Anbaden in der Ostsee bei acht Grad Wassertemperatur erledigt haben, zeigt Karl uns die Insel. Im ausgehenden Mittelalter hat sich LyØ aufgrund seiner günstigen Lage vor der Hauptinsel Fünen zu einem reichen Handelsort entwickelt. Eine große weißgekalkte Dorfkirche, die gleich nach der Reformation gebaut wurde, zeugt hiervon ebenso wie schöne, reetgedeckte Bauern- und Bürgerhäuser. Der Autoverkehr ist nicht verboten, spielt aber keine nennenswerte Rolle. Das also kann nicht der Grund dafür sein, dass der Werbeflyer der Gemeindeverwaltung darum bittet, "Hunde im Schnur zu haltern". Diese Bitte hat offensichtlich eher etwas mit den Mümmelmännern der Inseln zu tun. Hierzu erfahren wir, dass es alte Tradition ist, Hasen in großen Netzen zu fangen, um sie als Jagdtiere ins Ausland zu verkaufen. Wenngleich dies heute auch verboten sei, wird "ab und zu eine Ausnahme gemacht, wenn die Hasenbestände anderswo in Dänemark eine Blutauffrischung brauchen." Langsam wird mir klar, warum unsere Paddelfreunde von Lyø als von der Osterinsel der Ostsee sprechen. Mein Eindruck bestätigt sich, als wir am nächsten Morgen viele Schokoladeneier vor unserem Zelt finden.

Mit Karl auf Tagestour

Am Ostersonntag ist das Paddelinteresse unterschiedlich ausgeprägt. Während sich die meisten für eine Umrundung von Lyø entscheiden, wollen Karl und ich eine etwas ausgedehntere Tagestour unternehmen. Die Sonne scheint, der Wind bläst mit 3-4 bft. weiter aus Ost bis Südost und so fahren wir an der Westseite von Lyø nach Norden. Wir umfahren den Revet, eine Landzunge, die im Nordwesten der Insel langsam aber stetig wächst. Das Gegenstück zum Revet ist "Det ny Land" an der Nordostspitze der Insel, das auf der Karte wie eine Miniausgabe der Kurischen Nehrung aussieht. Beide Sandhaken sind natürlich Vogelschutzgebiete, die wir weiträumig umfahren. Wir halten mit Ostkurs auf den Knolden zu, eine kleine, zu Fünen gehörende Halbinsel, die sich mit einer imposanten Steilküste präsentiert. Wir halten uns weiter an der Küste von Fünen, kreuzen das betonnte Fahrwasser zum Hafen von Faaborg, um dann an der Nordostseite der Insel Bjørnø den Faaborg Fjord abzupaddeln. Dieser wird im Süden durch Holmene begrenzt, eine künstliche Landzunge im Südosten von Bjørnø, die ebenfalls Vogelschutzgebiet ist. Als wir die Spitze von Holmene passiert haben, erkennen wir im Dunst Avernakø und kaum noch sichtbar Lyø, das nur acht Kilometer entfernt liegt. Jetzt haben wir den Wind wieder im Rücken und lassen uns mit den Transporterwellen über die Ostsee schieben. Etwa auf der Hälfte der Strecke lassen wir die Fähre von Faaborg nach Søby passieren. Konnte ich bislang Karl noch einigermaßen folgen, zeigt sich bei zunehmender Wellenhöhe wieder seine Paddelkunst und bald liegt er wohl 500 Meter vor mir. Über die Südseite von Lyø erreichen wir nach vier Stunden und 25 Kilometern wieder unser Lager.

Zurück nach Mommark

Am Ostermontag ist es so diesig, dass wir Als, die große Insel, auf der Mommark liegt, von Lyø aus nicht sehen können. Wir werden den Kleinen Belt also mit Hilfe des Kompass queren müssen. Der Kartenkurs liegt bei genau 206 Grad. Karl gibt aufgrund der Abdrift einen Kurs von 190 Grad vor, den er im Laufe der Überfahrt mit Hilfe seines GPS immer wieder leicht korrigiert. Es ist eine ruhige Überfahrt, auf der wir lange Zeit keine Küstenlinie erblicken. Völlig entspannt und im Einklang mit meiner Umwelt denke ich an die letzten drei Tage zurück. Nach 2,5 Stunden und 13 Kilometern kommen wir fast punktgenau im Hafen von Mommark wieder an.

Fotos und Text Gero M.